Am 10. September hat der Finanzauschuss des Bundesrat entschieden der Veräußerung des sogenannten Dragonerareal nicht zuzustimmen. Noch am selben Tag gab es eine Veröffentlichung aus den Reihen des Kreuzberger Horn. Sie gibt einen Rückblick auf die zurückliegenden Proteste und einen Ausblick auf die auf uns zukommenenden Aufgaben, wir haben uns daher entschlossen den Text hier als Gastbeitrag zu veröffentlichen.
Hallo liebe Kiezaktive und -interessierte,
wie manche von Euch sicherlich aus den Rundfunknachrichten oder anderen Informationsquellen erfahren haben, wurde heute, am 10. September, in der Abstimmung zum sogenannten Dragonerareal im Finanzausschuss des Bundesrates der Verkauf an eine private Immobiliengesellschaft mit einer deutlichen Mehrheit der Bundesländer abgelehnt.
Bereits in der Sitzung vom 23. April, daran sei hier kurz erinnert, hatte das Vorhaben der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben), das bundeseigene Gelände im Höchstbieterverfahren an die österreichische Gesellschaft ‘Dragonerhöfe GmbH’ zu verkaufen, zu unserer damals noch großen Überraschung nicht einfach problemlos die notwendige Hürde des Ausschusses genommen, und der Punkt war vertagt worden. Finanzsenator Kollatz-Ahnen hatte dazu für das Berliner Verhalten erklärt, das Land habe seine Liegenschaftspolitik neu ausgerichtet. Auch in der Junisitzung hatte der Ausschuss das Thema noch einmal vertagt.
Auf die heutige Entscheidung waren nicht nur wir als dort besonders Engagierte, sondern auch viele andere Interessierte sehr gespannt gewesen, da das Thema ‘Dragonerareal’ inzwischen eine starke öffentliche Beachtung gefunden hat. Die Medien haben verschiedentlich über die lange Veräußerungsgeschichte mit wechselnden Käuferangeboten berichtet, und Initiativen gegen die BImA-Strategie wie ‘Stadt von Unten’, ‘Wem gehört Kreuzberg’, ‘Kiezbündnis am Kreuzberg’ hatten das Gelände zum Aktionsort gemacht, so etwa am 14. Mai (Himmelfahrtstag) mit dem kleinen Fest unter dem Motto “Das Spiel beginnt“.
Auf unserer Kiezwochenveranstaltung ‘Der Rathausblock – das Dragonerareal’ am Mittwoch, dem 2. September, im Gemeindesaal in der Wartenburgstraße waren von uns als einem Bündnis der Anwohnerschaft die beteiligten Initiativen sowie Politikerinnen und Politiker verschiedener Ebenen zu einem Dialog miteinander eingeladen worden. Hilfreich war auf dieser m.E. recht informativen Veranstaltung auch, dass Bertram Dudschus von ‘Upstall e.V.’, der bereits am längsten mit dem Thema befassten kritischen Initiative, einen konzentrierten Überblick vom Zeitpunkt der Insolvenz (2010) der Hauptmieterin Translag bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt bot. (Für ausführlichere Informationen dazu: www.upstall.de)
Noch einen Tag vor der heutigen Sitzung hatten Info-Radio und rbb-Abendschau dort eine direkt übertragene Diskussion organisiert, an der auch der Finanzsenator teilnahm sowie als Kontrahent der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Brackmann, der zugleich Stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates der BIMA ist. Er verteidigte weiterhin das Höchstbieterverfahren, da es dem öffentlichen Haushalt zugute käme und so im Interesse der Steuern zahlenden Bevölkerung sei. Die Gewerbetreibenden auf dem Gelände und die drum herum Wohnenden oder auch ‘Stadt-von-Unten’ hatten indessen keinen Zweifel daran, dass die hohe Kaufsumme, die von der österreichischen Immobiliengesellschaft Dragonerhöfe GmbH geboten wurde, nur durch luxusorientierte Bauprojekte gewinnbringend wieder hereingeholt werden könnte, was zu einer Vertreibung der großenteils kiezbezogenen Kleinbetriebe und zu einem Mietspiegelanstieg im Wohnumfeld führen würde.
Ein neuer Anstoß für eine Entscheidung gegen den Großinvestor wurde auch durch die gegenwärtige Flüchtlingskrise gegeben. Nach dem Treffen der Koalitionsspitzen am vergangenen Sonntag hieß es dazu, dass “der Bund den Kommunen Immobilien und Liegenschaften schnell und verbilligt für den sozialen Wohnungsbau bereitstellt.“
Wie es mit der Entwicklung des Geländes nun konkret weitergehen wird, ist zunächst offen, da es in jüngerer Zeit auch bei einem Grundkonsens gegen Privatisierung und Höchstbieterverfahren nicht nur einheitliche Vorstellungen dazu gibt. Der Senat hat am 25.8. “vorbereitende Untersuchungen“ zur Festlegung eines Sanierungsgebietes beschlossen. Sie werden von verschiedenen Seiten intensiv verfolgt werden.
Die Inhaberin des Clubs ‘Gretchen’ auf dem Gelände, Pamela Schobeß, hatte im August in einem Interview im Kreuzberger Horn die Hoffnung geäußert, dass bei einer unbedingt wünschenswerten Ablehnung des Verkaufs an den Großinvestor “ … auch Rücksicht auf alle hier genommen wird. Wir haben nichts davon, wenn das Land Berlin das Areal kauft und hier 100% sozialer Wohnungsbau hinkommt. Das ist besser als wenn ein Großinvestor hier Luxuswohnungen errichtet, aber dann könnten wir auch nicht bleiben.“
Eine akzeptable “Kreuzberger Mischung“ von bezahlbarem sozialen Wohnungsbau, kulturellen Einrichtungen und kiezbezogenem Gewerbe ist jedoch bereits von den verschiedenen engagierten Initiativen her sowie durchaus auch auf der Ebene des Bezirks und des Senats in Debatten und Erklärungen angedacht worden. Nun wird es darauf ankommen, die einzelnen Belange und Vorstellungen sowie auch die finanziellen Möglichkeiten auf eine konstruktive Weise miteinander zu verbinden.
Auch die verschiedenen widerständigen und phantasievollen Aktivitäten auf dem Gelände werden mit der heutigen Entscheidung nicht ihr Ende gefunden haben. Kurzfristig sei zunächst hingewiesen auf die Veranstaltung der Initiative ‘Dragopolis’ mit dem Thema ‘Geschichtsort Dragonerareal’ am Samstag, dem 12. September 2015 (Tag des offenen Denkmals) ab 15.00 Uhr mit Zeitdokumenten, Gedichten und Liedern auf dem Terrain (im ‘Gretchenclub’-Hof durch den Torbogen von der Obentrautstraße aus).
Mit vielen Grüßen
von Jürgen Enkemann (Kiezbündnis am Kreuzberg / Kreuzberger Horn)