Stadt von Unten: Was wir wollen…
Als stadtpolitische Initiative, als Aktivist_innen, Interessierte, Betroffene und Nachbar_innen setzen wir uns seit einigen Jahren gegen Privatisierungen, für leistbare(n) Wohnraum und Gewerbefläche, eine Neustrukturierung der kommunalen Wohnraumversorgung, für Selbstverwaltung sowie ein anderen Umgang mit dem Boden ein. Unser Schwerpunkt ist hierbei Berlin, reicht aber zum Teil weit darüber hinaus. Uns reicht es in unserem Engagement nicht, nur an bestehenden Strukturen herumzudoktern; wir sind der Überzeugung, dass es essentielle Antworten auf das Thema Wohnen und Wohnungsnot – als soziale Frage unserer Zeit – braucht.
Um einen Beitrag in der aktuellen Berliner Debatte zu leisten, haben wir uns einen ganz konkreten Ort – den Rathausblock mit dem sogenannten Dragonerareal – als Aktionsfeld, als Ort der Selbstorganisation und Plattform des direkten Austauschs und der Komplizenschaft ausgesucht. Hier fordern und erwarten wir ein substanzielles Modell für die Quartiers- und Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert. Der Neubau von Wohnungen ist uns hierbei ein sehr wichtiges Anliegen, ein einsilbiges Mantra „baun, baun, baun“ liefert uns jedoch keinen ausreichend qualifizierten Beitrag für eine gemeinwohlorientierte und vor allem für eine menschenwürdige Stadtentwicklung.
… mit wem wir das wollen…
Wir sind nicht allein: seit einigen Jahren organisieren sich zahlreiche stadtpolitische Initiativen, Nachbar_innen und die ansässigen Gewerbetreibenden direkt für die gemeinwohlorientierte Entwicklung des Areals in Kreuzberg 61. Weitere Initiativen in der Stadt – und darüber hinaus – unterstützen uns immer wieder durch temporäre oder aktionsbezogene Zusammenarbeit. Mit diesem Engagement konnten wir gemeinsam die Privatisierung des bundeseigenen Geländes durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) verhindern.
Seit etwa einem Jahr findet im Rahmen des Sanierungsverfahrens Rathausblock, in dem das Areal liegt, nun ein offizielles Beteiligungsverfahren statt. Fast alle bisher engagierten zivilgesellschaftlichen Initiativen in der Nachbar_innenschaft und die Vertreter_innen der Gewerbetreibenden haben beschlossen, sich darauf einzulassen und – nach ersten Konflikten rund um die Übertragung des Grundstücks – gemeinsam mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der Senatsverwaltung für Finanzen eine Kooperationsvereinbarung zu erarbeiten. Denn um der modellhaften Entwicklung des Geländes, die die Initiativen fordern und die der Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün verspricht, gerecht zu werden und nicht nur in Ankündigungspolitik und im Marketing zu verharren, bedarf es einer neuen Art der Zusammenarbeit: auf Augenhöhe und mit Lernprozessen zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung. Seit einem Jahr etwa „kooperieren“ wir also, oder wir versuchen es zumindest: Zeit, zurück zu blicken und zu reflektieren, wohin uns das bisher gebracht hat, wo die Probleme liegen, was besser laufen muss…
…und warum das Ganze nicht so einfach ist.
Im Rahmen des Sanierungsverfahren sind die Stadtplanungsgesellschaft S.T.E.R.N. und die „Agentur für crossmediale Bürgerbeteiligung“- Zebralog beauftragt worden, ein Beteiligungsverfahren durchzuführen. Seit Monaten finden wöchentlich eine oder sogar mehrere Veranstaltungen statt, auf denen sich die organisierten stadtpolitischen Initiativen, Nachbar_innen, Vertreter_innen der Bezirksverwaltung und (seltener) Vertreter_innen des Senats austauschen und zu konkreten Themen wie zum Beispiel dem Gewerbe auf dem Gelände oder der Weiterentwicklung der sozialen Infrastruktur arbeiten. Dieser hohe Takt stellt eine große Belastung für uns ehrenamtlich, neben unserer Erwerbsarbeit, Engagierten dar. Die Kleinteiligkeit des Beteiligungsverfahrens ist nicht nur für uns ein Problem, sondern auch für die Verwaltung, die (so wie wir) kaum noch hinterherkommt. Es ist nicht gelungen, den Prozess so zu strukturieren, dass Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit für alle hergestellt wurden. Die Beteiligung droht daher im Kleinklein zu versinken, ohne zu substanziellen Festlegungen zu kommen und immer mehr Beteiligte fühlen sich abgehängt oder in einem Hamsterrad gefangen.
Einen positiven Effekt, den diese Kooperation allerdings bisher für uns als Initiativen im Rathausblock hatte, ist, dass wir uns in einem Vernetzungstreffen deutlich stärker konstituiert haben, einen Dialog über sehr unterschiedliche Sichtweisen führen, uns abstimmen, um mit gemeinsamen Positionen in das Verfahren zu gehen und dort stark aufzutreten. Die hohe Anzahl der beteiligten Initiativen ist eine Herausforderung, aber auch ein großer Gewinn für die Beteiligung.
Gemeinsam konnten wir im Dezember 2017 verhindern, dass das Grundstück direkt und ohne Auflagen an die Landeseigenen Wohnungsunternehmen WBM und degewo übertragen wird. Das wollten wir nicht, denn dann wäre jegliche modellhafte Entwicklung von unten unmöglich geworden: die Wohnungsbaugesellschaften hätten einfach machen können, was sie für richtig halten. Stattdessen geht das Gelände nun an das Sondervermögen Daseinsvorsorge (SODA) – welches für landeseigene Grundstücke vorgesehen ist, die das Land Berlin als strategisch wichtig erachtet. Das Dragonerareal wird dann von dem landeseigenen Unternehmen Berliner Immobilienmanagement (BIM) treuhänderisch verwaltet. Das letztendliche „Betriebsystem“ des Dragonerareal kann also noch gemeinsam erarbeitet werden.
Was wir als stadtpolitische Initiativen außerdem geleistet haben, ist eine weitere inhaltliche Vertiefung des Modellprojekts Dragonerareal/Rathausblock, wofür im Verwaltungsalltag des Bezirks und des Senats wenig Zeit ist. In diesem Sinne funktioniert die Kooperation also und sie hilft, „Inhaltsleere“ zu überwinden.
Allerdings stellt sich bei uns langsam ein mulmiges Gefühl ein: Wir stecken sehr viel Energie, Gehirnschmalz und Mühe in die inhaltliche Ausarbeitung einer Kooperationsvereinbarung. Wir haben in einer Präambel beschrieben, welchen Charakter die Kooperation haben soll. In einem Kapitel zu Gremien und Strukturen haben wir uns überlegt, wie die kooperative Zusammenarbeit jetzt und in Zukunft formell aufgestellt sein kann. Und in einem Kapitel zur Bodenfrage haben wir die Grundzüge eines Modells formuliert, das wirklich bezahlbare Mieten absichern soll, dauerhaft und unter Mitbestimmung der MieterInnen.
Arbeit für den Papierkorb?
Alles super, finden wir. Das Problem ist nur, dass wir nicht wissen, ob wir das alles für den Papierkorb produzieren. Einer unserer zentralen Ansprüche an das Kooperationsverfahren war von Anfang an, dass es politisch besetzt ist. Das heißt, dass in Veranstaltungen – oder zumindest in einer zentralen Steuerungsrunde – Personen aus Verwaltungsebenen anwesend sind, die Entscheidungen treffen und sich unseren Vorschlägen überhaupt stellen können. Diese Forderung wurde bisher ignoriert oder nicht ernst genug genommen. Wir wissen nicht, was mit all den Inhalten passiert, die wir entwickelt haben. Wir sind aber keine beliebig abrufbare Ressource! Wir haben kein Interesse daran, als Ideenmaschine herhalten zu müssen, bei der man sich am Ende herauspickt, was gefällt, ohne in einen gemeinsamen Verhandlungsprozess zu treten. Gleichzeitig gehen wir auch nicht davon aus, dass alle unsere Forderungen eins zu eins von allen politischen Ebenen geteilt werden. Wir brauchen also einen Raum, in dem wir diese Interessenkonflikte austragen können – anstatt, dass wir uns am ausgestreckten Arm abstrampeln.
Ein zentrales Problem ist also die fehlende politische Verantwortungsübernahme der institutionell Verantwortlichen im Kooperationsverfahren. Anstatt unsere zentralen Forderungen ernsthaft zu diskutieren, werden Entscheidungen auf später verschoben und inhaltliche Setzungen vermieden – zum Beispiel zum Anteil der bezahlbaren Wohneinheiten (100% Forderungen), zum Bodenmodell Selbstverwaltet & Kommunal (u.A. realisiert über Erbbaurechte) oder zum Bestandsschutz des Gewerbes. Diese Inhalte und damit einhergehenden Setzungen sind aber der Grund, warum wir uns überhaupt an der Kooperation beteiligen. Auf Beteiligung um der Beteiligung willen, oder als zweckdienliche Legitimationsmaschine, können wir verzichten.
Inhaltliche Setzungen werden unserer Wahrnehmung nach strategisch umgangen, um Konflikte darüber zu vermeiden. Gleichzeitig werden immer wieder inhaltliche und politische Setzungen vorgenommen, die im Kooperationsprozess nicht abgestimmt sind. Zum Beispiel verkünden die Beteiligungsunternehmen öffentlich straffe Zeitpläne für die Bebauung, während noch nicht einmal die Übertragung des Geländes an das Land Berlin abschließend geklärt ist – geschweige denn das steuernde Gremium, in dem diese Zeitpläne abgestimmt werden sollen, überhaupt installiert ist.
Als Initiativen erhalten wir mittlerweile in fast jeder Veranstaltung des Beteiligungsprozesses eine neue Ankündigung, was als nächstes gemacht werden müsste und welche zusätzliche Arbeitsgruppe jetzt wichtig wäre. Bitter müssen wir konstatieren, dass von Anfang ein Produktionszwang für Ergebnisse geschaffen wurde, ohne eine Antwort zu geben, wie und von wem diese Ergebnisse am Ende bewertet oder genutzt werden. Die angekündigte strukturbildende „Phase Null“ wurde von der Realität des Produzierens überholt. Ohne klar vereinbarte Abstimmungs- und Entscheidungsstrukturen werden zahllose Inhalte produziert, die aber, falls ungenehm, aufgrund der fehlenden Verbindlichkeit und Entscheidungsfähigkeit auch einfach wieder wegmoderiert werden könnten.
Kooperation ist nicht Beteiligung!
Es zeigt sich auch ein großes Missverständnis, was dieses Kooperationsverfahren angeht: Es wird grundsätzlich keine Unterscheidung zwischen Beteiligung und Kooperation gemacht. Wir wollen zwischen beidem unterscheiden, gerade weil beides wichtig ist: In einem Beteiligungsprozess können mehr oder weniger unorganisierte Nachbar_innen oder Interessierte ihre Positionen einbringen und – wenn alles gut läuft – durch ihre individuellen Sichtweisen und Expertisen an der Stadtentwicklung mitwirken und diese damit verbessern. In einem Kooperationsverfahren jedoch arbeiten klar definierte PartnerInnen aus der institutionellen und aus der außerparlamentarischen Politik gleichberechtigt zusammen. Organisierte stadtpolitische Initiativen und Akteur_innen kooperieren mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und zwei Senatsverwaltungen (SenSW, SenFin).
Die ständige Vermischung von Beteiligung und Kooperation ist schlecht für beides: die Beteiligung weiterer Menschen aus Nachbar_innenschaft und Stadtgesellschaft über die bereits Organisierten hinaus leidet, da die Initiativen in Beteiligungsveranstaltungen mit ihrem Vorwissen die Zugangshürden für neue Interessierte erhöhen. Da jedoch kein anderer Raum der Verhandlung von Inhalten und politischen Rahmenbedingungen geschaffen wird, bleibt den Initiativen nichts anderes, als diese Verhandlung in die offene Beteiligung zu tragen. Die beteiligten Initiativen befinden sich damit in einem Dilemma: Auch wenn sie mit Offenheit agieren wollen, sind sie an dieser Stelle gezwungen, geschlossen aufzutreten, denn die Beteiligungsveranstaltungen sind momentan der einzige Ort, der angeboten wird, um politische Forderungen überhaupt zu artikulieren und teilweise auszutragen. Die Initiativen gehen damit auch das Risiko ein, dass sie als ständig Stänkernde wahrgenommen, von Verantwortlichen für die Beteiligung als „Partizipationselite“ (O-Ton!) bezeichnet und ihre Forderungen als „utopisch“ oder „ideologisch“ abgetan werden. Im Grunde bleibt den Initiativen aber nichts anderes, als so zu agieren: die von Anfang an geforderten, politisch besetzten Verhandlungs- und Entscheidungsstrukturen gibt es nicht. Der Effekt dieses Umgangs mit uns mag intendiert sein oder nicht: das Verfahren wird entpolitisiert, wo es uns doch genau um politische Forderungen geht.
Kooperation kann nicht gelingen, wenn Kooperationspartner_innen nicht als gleichberechtigt anerkannt werden, sondern wie eine unorganisierte Zivilgesellschaft mit 1000 Einzelmeinungen und -interessen angesprochen werden und damit jede ausgearbeitete Forderung der organisierten Zivilgesellschaft bagatellisiert wird. Wir wollen uns nicht nur ernst genommen fühlen, sondern ernst genommen werden. Für die Initiativen geht es um politische Vereinbarungen, Aushandlung und belastbare Zusagen. Ohne diese kann es nicht weiter gehen.
Was also tun?
Viele Beteiligte – auch aus der Verwaltung – sind sich einig, dass eine gemeinsame prozessbezogene Steuerungsebene fehlt. Denn bisher ist unklar, wer in den politischen Institutionen auf Senats- und Bezirksebene Verantwortung übernimmt und wie Entscheidungen organisiert werden. Es fehlt ein Gefüge, in dem die unterschiedlichen Interessen miteinander ins Verhältnis gesetzt und ausgehandelt werden können. Es braucht eine Ebene, in der Prioritäten gesetzt, gemeinsame Vereinbarungen getroffen, Entscheidungsspielräume ausgelotet und die Einhaltung von Absprachen überprüft werden kann. Für die Komplexität des Verfahrens müssen außerdem adäquate Lösungen gefunden werden. Die Themenfülle darf nicht zu Stress führen und es braucht Raum für übergreifende Fragen, Querschnittsthemen und Kreativität. Man muss beweisen, dass man etwas anders machen will!
Wir haben daher im Netzwerk der Initiativen einen sehr konkreten Vorschlag für einen politisch besetzten Zukunftsrat erarbeitet. In diesem Zukunftsrat können und wollen wir die inhaltlichen Eck- und Knackpunkte festlegen, bevor wir uns in der Detailebene verlieren. Bedeutungsvolle Kooperation kann nur gelingen, wenn in ihr inhaltliche Entscheidungen möglich sind und echte politische Mitbestimmung organisiert wird. Sonst ist sie nichts als Beschäftigungstherapie.
Initiative Stadt von Unten, 02. August 2018
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P.S. Die Entwürfe der Initiativen zu den ersten Kapitel zur Kooperationsvereinbarung liegen allen Beteiligten vor, im Vernetzungstreffen der Initiativen besprechen wir gerade wie und wann wir die dort erarbeiteten Inhalte veröffentlichen. Wir liefern nach, versprochen!