Stellungnahme von Stadt von Unten zur vorbereitenden Untersuchung Sanierungsgebiet „Rathausblock/RuhlsdorferStraße“
Trotz der zahlreichen Argumente, die auf den Beteiligungsveranstaltungen zum Sanierungsgebiet Rathausblock/Ruhlsdorferstr. für 100% wirklich soziale Mieten in öffentlicher Hand vorgebracht wurden, stellt die vorläufige Untersuchung nur einen Bedarf von „mindestens 50%“ im zu realisierenden Neubau auf dem sogenannten Dragonerareal heraus. An dieser Stelle stellen wir noch einmal Fakten und Argumente zusammen, die erklären warum 50% nicht ausreichen. Ein aktuelles Bauvorhaben der degewo in Treptow-Köpenick, das 100% bezahlbaren Wohnraum schaffen will, zeigt, dass ein Anteil von 30% oder 50% Sozialwohnungen nicht gesetzt sein muss. Wenn das selbst am Stadtrand möglich ist, warum dann nicht umso mehr in der Innenstadt, wo der Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum mindestens genauso hoch ist?
Die wachsende Ausstellung belegt die bedeutende Rolle des sogenannten Dragonerareals in der gesamtstädtischen Debatte zur Durchsetzung sozial orientierter Stadtentwicklungsziele. Seine Entwicklung kann gleichzeitig im Untersuchungsgebiet und in den angrenzenden Stadtteilen auf die Mietentwicklung einwirken. Das Areal darf also nicht räumlich isoliert betrachtet werden.
Ebenso darf es nicht zeitlich isoliert betrachtet werden: Die vergangene und gegenwärtige Entwicklung der Mietpreissteigerung und Verdrängung muss für die zukünftige Bebauung beachtet werden. Das Areal kann hier einen Beitrag leisten Verdrängungsprozessen aus der Berliner Innenstadt entgegen zu wirken.
Weitere Potentiale für den Wohnungsbau in öffentlicher Hand sind im Untersuchungsgebiet so gut wie nicht vorhanden. Entscheidenden Einfluss lässt sich nur auf dem sogenannten Dragonerareal nehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass das Bundesfinanzministerium für Finanzen den Kaufvertrag endlich rückabwickelt und das Land Berlin das Areal erhält.
Die Bürger_innen haben auch darauf hingewiesen, dass „ein Großteil der Vielfalt und des sozialen Zusammenhalts in ihren Kiezen schon zerstört worden ist“ (siehe Erklärung „Lebenswerte Stadt für Alle – bezahlbare Mieten für Alle!“).
Diese Zerstörung der Vielfalt und des sozialen Zusammenhalts wurde und wird vollzogen durch:
Verdrängungsprozesse: Untersuchungen im Erhaltungsgebiet Hornstraße haben diese für den Nahraum bereits belegt. Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, Zweckentfremdung durch Ferienwohnungen und Zwangsräumungen sind deshalb in jedem Fall zu vermeiden.
Mietsteigerung: der Anstieg der ortsüblichen Vergleichs- und der Angebotsmieten ist überdurchschnittlich und hat sich in den letzten sechs Jahren verdoppelt (Berliner Mietspiegel im Vergleich 2009 zu 2015).
Zuzug: Die Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum wird sich durch Zuzug in den Bezirk weiter verschärfen, während sich ein Überangebot im hochpreisigen Segment abzeichnet (Untersuchung Erhaltungsgebiet Hornstraße und Tagesspiegel 22.04.2016 „Experten warnen vor Immobilienblase“).
Einkommen und Sozialleistungen: Die Einkommen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sind unterdurchschnittlich. Die Kaufkraft im Gebiet liegt im Vergleich zu anderen Stadtteilen im unteren Bereich. Die Kaufkraft Berlins im Ländervergleich ist bereits unterdurchschnittlich. (Sozialstrukturatlas Berlin 2013) Armut ist ein Teil von Berlin und ein Teil von Kreuzberg und damit auch Teil der Kreuzberger Mischung. Jede_r vierte Bewohner_in im Bezirk ist auf Sozialleistungen angewiesen. Der Anteil an Altersarmut ist überdurchschnittlich hoch. Auf absehbare Zeit sind für Berliner_innen keine größeren Lohnsteigerungen erwartbar.
Anteil öffentlicher Wohnungen: Der Einfluss der landeseignen Wohnungsbaugesellschaften im Planungsraum ist minimal und im Vergleich mehr als unterdurchschnittlich.
Anteil Sozialwohnungen: Der Anteil der Sozialwohnungen im umliegenden Stadtteil ist ebenfalls unterdurchschnittlich. Ein erheblicher Teil der Sozialwohnungen in Kreuzberg wird seine Bindung verlieren bevor überhaupt eine Wohnung auf dem sogenannten Dragonerareal bezogen werden kann. Ein weiterer erheblicher Anteil wird in den Folgejahren verloren gehen.
Instandsetzungsbedarf: Der Instandsetzungsbedarf im Untersuchungsgebiet ist hoch. Modernisierungsmaßnahmen und energetische Modernisierung mit anschließender Kostenumlage führen zu Mieterhöhungen. Zur Vermeidung dieser sieht die vorbereitende Untersuchung bisher keine Lösung vor (laufende Ausstellung zur vorbereitenden Untersuchung als .pdf).
WBS-Berechtigung: 55% der Berliner_innen haben Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und damit eine Sozialwohnung (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung). Darüber hinaus besteht ein hoher Bedarf an Wohnraum für betreutes Wohnen und einkommensschwache ältere Menschen. Träger des betreuten Wohnens stoßen regelmäßig an ihre Grenzen bei der Vermittlung ihrer „KlientInnen“ in Wohnungen am freien Markt, da entsprechendes Angebot zu sozialen Mieten nicht vorhanden ist.
Aus den genannten Punkten lässt sich ableiten, dass selbst 100% wirklich soziale Mieten auf dem Dragonerareal noch nicht genug sind, sich abzeichnende Fehlentwicklungen aufzuhalten. Die maximale Quote kann aber einen wichtigen Beitrag zur Dämpfung der Verdrängung beitragen. Die Realisierung der 100% würde gerade nicht zur Schaffung eines Ghettos beitragen, sondern lediglich Verwerfungen im Untersuchungsgebiet und angrenzenden Quartieren auffangen und damit einen Teil der Bevölkerung vor Ort vor Verdrängung bewahren. Das bedeutet mehr Lebensqualität für alle. Beachtet man die verschiedenen Bedarfsgruppen von Wohnen für Ältere, betreutes Wohnen und den vergleichsweise hohen Anteil an Bewohner_innen mit Migrationshintergrund im Bezirk so würde auch mit 100% bezahlbarem Wohnraum kein homogener Stadtteil entstehen. Gelingt zudem der Erhalt des gewerblichen Bestands und der dort ansässigen Familienbetriebe, so tragen auch diese einen beträchtlichen Teil für ein vielfältiges Quartier bei.
Deshalb bekräftigen wir hier noch einmal unsere Forderungen nach 100% Erhalt des Gewerbes auf dem Dragonerareal, 100% Mieten und nicht Eigentum in Wohnen und Gewerbe, 100% bezahlbaren Mieten in Wohnen und Gewerbe, 100% langfristig abgesichert. Die Voraussetzung dafür ist der Verbleib des Dragonerareals in öffentlicher Hand. Erst dann kann ein Planungsprozess von Unten, wie er bereits begonnen wurde, weiter gehen und 100% wirkliche Teilhabe an der zukünftigen Entwicklung des Gebiets garantieren.
Stadt von Unten
- Stellungnahme als .pdf
Pingback: Pressemitteilung 05.07.2016 // Sanierungsgebiet Rathausblock/Ruhldorfer Straße kommt – BimA weigert sich weiter Verkauf rückabzuwickeln | Stadt von Unten